Der Heilige

Aus dem Basler Pfarrblatt 1994, von Peter Felber

 

Wissen sie, wo zurzeit der lustigste Heilige in Basel zu finden ist ? Nicht auf einem der vielen Brunnen, auch nicht auf einem alten Bild im Museum. Nein, auf einer Hauswand prangt er, ganz unscheinbar. Im Luftgässlein, gleich hinter dem Erasmushaus.

Ein Zeitgenosse hat diesen Heiligen hingekritzelt, in ein zugemauertes Fenster auf der Hinterseite eines Hauses. Und damit alle auch merken, dass er hier einen Heiligen hat malen wollen, hat er ihn gleich noch angeschrieben: HEIL-IGER. Ganz klar: Der Unbekannte, der diesen kleinen Heiligen hingezeichnet hat, wollte damit einen Witz machen. Aber man kennt ja das Sprichwort: "Kinder und Narren sagen die Wahrheit". Und das gilt eben auchvon solch einer närrischen Kritzelei: Sie enthält mehr Wahrheit, als man glaubt. Was mir zuerst aufgefallen ist: Der Heilige hat ein superfröhliches Gesicht. Mit schalkhaften Augen und einer witzigen  Strichbürstenfrisur schaut er keck in die Welt. Es ist nicht der grosse Heiligenschein, der ihm seine Ausstrahlung gibt. Es sind die grossen Augen, das breite Lachmaul.

Der unbekannte Künstler kritisiert, dass Heilige in der Religion manchmal so bittertrüb  und ohne Lebenslust dargestellt werden.Dabei entspricht das nicht der Wirklichkeit: Franz von Assisi etwa war ein sehr fröhlicher, dem Leben zugewandter Mensch, mit viel Humor. So lassen es die überlieferten Anektoden deutlich erkennen.

Recht hat er darum, unser Kritzler. Etwas heiliges ist dem Leben zugewandt, steht mitten im Leben drin. Wie seine Heiligenfigur. Es geht beim Heiligen um Freude und ums Lachen. Das Heilige hat mit Lust am Leben zu tun. Das sind nie echte Heilige, die den Menschen die Lust am Leben miessmachen wollen. Das sind eben bloss Schein-Heilige. Der Heilige im Luftgässlein ist klein und unscheinbar. Fast geht er unter in der grossen, zugemauerten Fensteröffnung. Damit hat der Maler haarscharf getroffen, was etwas  Heiliges charakterisiert: Das Heilige ist selten gross, in den Augen der Welt kaum spektakulär. Es ist auch nicht geschätzt vom Grossen und Mächtigen in der Welt. Heilige stehen ja dafür ein, dass das Kleine, Normale, Unscheinbare - das, was niemand beachtet - auch zu seinem Lebensrecht kommt.

An diesem Punkt können die goldenen, farbigen Heiligenbilder, die wir kennen, einen falschen Eindruck erwecken: Das Heilige ist nichts, was besonders leuchtend hervorsticht und glänzt. Das Heilige bringt ja gerechtigkeit, Lebensfreude und Motivation zum Leben mitten in den unscheinbaren Alltag hinein. So, wie dieser kleine, unscheinbare Heilige hier in das unscheinbare Gässlein hinein, in das blinde, weil zugemauerte und damit seiner Funktion beraubte Fenster. Der grosse Lärm, den Basel um alles Gernegrosse macht, aller Tamtam und alle städtischen Grössenwahnsinnigkeiten gehen achtlos an ihm vorbei. Der Maler hat diesem Heiligen hier einen Flecken in seinen Heiligenschein gezeichnet. Heilige sind eben nicht ohne Fehler und Flecken. Wie könnten sie es auch sein ?  Sie lassen sich ja mit den dunklen und rätselhaften Seiten des Lebens ein. Gott aber mag die Heiligen, die etwas tun - mit dem Risiko, auch Fehler zu machen.  Ganz klar: Ein Heiliger macht Fehler. Es bleibt aber nicht bei ihnen stehen. Er weiss um die Kraft der Vergebung, er weiss dass ihn die Berührung mit dem Dunklen nicht abwertet. Er schreitet gelassen - auch mit Flecken - weiter. Genau damit aber hält er dem Dunklen aus Gottes Kraft heraus stand.    Der Kritzler hat seinen Heiligen angeschrieben: HEIL-IGER. Der Heilige bringt HEIL in die Welt. Heute ein verstaubtes Wort: Heil. Ich kann es nur brauchen, wenn ich es zusammen mit dem Satz höre, den ich einmal ein kleines deutsches Mädchen zu seinem Vater habe sagen höhren: "Vati, mach mir dieses Flugzeug wieder Heil!" Und dazu hat es seinem Vater ein Flugzeug mit abgebrochenem Flügel hingehalten. Heil bringen heisst: etwas ganz machen. Der Heilige ist also einer, der ganz macht, was gerade zerbrochen ist. Wo wir erleben, dass etwas "Verpfuschtes" und "Verkachletes" ganz wird, da erleben wir Heil. Dort sind auch die Heiligen am Werk.

Mit seiner Zeichnung hat der Kritzler das Wichtigste, was über das Heilige zu sagen ist, zum Ausdruck gebracht. Man  darf es nicht da suchen, wo das Ausserordentliche  und Spektakuläre ist. Es ist nicht an einem besonderen Ort zu suchen. Sondern man muss es im ganz gewöhnlichen entdecken - so, wie dieser Heilige da in der unscheinbaren Gasse, wo ihn niemand erwartet. Der Heilige kommt immer im Normalen, im Alltag daher - etwas im Büro, im Betrieb, in der Schule, zu Hause, in der Partnerschaft, in der Familie, im Wirtshaus und im Tram. Aber man merkt es ganz leicht, wenn das Heilige im Alltag da ist: Überall da, wo echte Lebenslust aufkommt, überall, wo Umstände eintreten, unter denen alle Beteiligten fröhlicher sein können, überall, wo Menschen motiviert und mit Lust den nächsten Abschnitt ihres Lebens anpacken - genau da ist das Heilige angekommen. Dort sind auch die vielen kleinen Heiligen bei und am Wekrk So, wie der  unscheinbare Heilige im Luftgässlein hinter dem Erasmushaus. 

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